Jeder Mensch, jede Gesellschaft, jedes Unternehmen durchlebt Krisen – glaubt man den Wirtschaftsforschern, gilt das für 80 Prozent aller Firmen innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren. Häufig trifft es auch Unternehmen, die hervorragend im Markt positioniert sind und eine starke Marke haben. Doch warum schafft die eine Firma den Turnaround, während viele andere leider vom Markt verschwinden?
In der Öffentlichkeit wird der Begriff Turnaround-Management häufig in erster Linie mit Begriffen wie Restrukturierung, Schrumpfkur oder Sparprogramm assoziiert – also Maßnahmen, die sich vor allem auf kurzfristige Ziele fokussieren. Dabei wird vergessen, dass Turnaround-Management in erster Linie bedeutet, ein in Schwierigkeiten geratenes Unternehmen nachhaltig für die Zukunft aufzustellen und langfristig wieder in die Erfolgszone zu führen.
Aus meiner eigenen Erfahrung als Berater und CEO eines mittelständischen Unternehmens sind es vier wesentliche Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden:
Faktor 1: Simultane Betrachtung der Markt- und der Kostenseite
“You can’t shrink to greatness”! Reines Cost-Cutting führt nicht zum Ziel, man muss vor allem intensiv die Marktseite betrachten und sich als Management fragen, welche Segmente das Unternehmen zukünftig noch bedienen kann und will. Eine Strategie zu definieren bedeutet auch genau zu wissen, was man zukünftig nicht macht. Jedes Unternehmen hat nur begrenzte Ressourcen: Im Fall von alimex beispielsweise – der Gründer Helmut Geller hatte wahre Pionierarbeit geleistet – hieß das, sich als Qualitätsführer stärker auf jene Segmente zu fokussieren, die einen hohen Anspruch haben, also auf Branchen, die Aluminiumprodukte für hochpräzise Anwendungen brauchen. Das bedeutete aber natürlich nicht, dass das „Brot-und-Butter“-Geschäft vernachlässigt werden sollte. Vielmehr ging es darum, die Kräfte auf jene Bereiche zu konzentrieren, in denen das Unternehmen den Kunden den größten nachhaltigen Nutzen bringt.
Parallel dazu wurden natürlich alle Kosten und Abläufe auf den Prüfstand gestellt mit dem Ziel, den Anteil der operativen Kosten an der Gesamtleistung zu reduzieren. Zum Beispiel resultierte die Einführung von „vorausschauender Instandhaltung“ in signifikante Einsparungen im Bereich der Sachkosten.
Faktor 2: Wirklich führen
Ich bin grundsätzlich der festen Überzeugung, dass gute Führung bedeutet, Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen und Entwicklungschancen aufzuzeigen. Zu Beginn einer Turnaround-Phase ist es jedoch wichtig, zunächst enger zu führen und sehr deutlich zu machen, dass genau hingeschaut wird, wie gut Marktbearbeitung und Kundennähe sind, wofür die einzelnen Kostenstellen Geld ausgeben und wie hoch die Effizienz ist. Es wurde also mit maximaler Transparenz gearbeitet und ein Bewusstsein dafür geschaffen, warum Kostenkontrolle nötig ist.
Aber: Nur im Maschinenraum der Firma zu arbeiten, Kosten zu drücken und Prozesse zu optimieren, bringt einen nicht an die Spitze einer Branche, irgendwann muss man die virtuelle Leine auch wieder lockern. Und das führt mich zur Rolle der Mitarbeiter, da ohne die Unterstützung engagierter Führungskräfte und großer Teile der Belegschaft kein Turnaround funktioniert.
Faktor 3: Der Mensch
Wie so oft im Leben, empfiehlt es sich, zuerst bei sich selbst zu beginnen: Wer als CEO in einer Krisensituation keinen Mut und keine Zuversicht ausstrahlt, der kann auch niemanden motivieren.
Häufig halten gute Mitarbeiter Familienunternehmen auch in relativ schwierigen Zeiten die Treue. Das heißt auch, häufig jahrelang praktisch ohne wirkliche Erfolgserlebnisse und unter hohem Druck zu arbeiten, was sehr frustrierend sein kann. Zunächst gilt es also, diese Leistung richtigerweise anzuerkennen.
Der wichtigste Schritt danach: Vertrauen vorleben! Zeigen, dass man es ernst meint und die Firma zu langfristigem und nachhaltigem Erfolg führen will. Das ist oft ein langwieriger Prozess von bestimmt zwei bis drei Jahren und kein Kurzstreckensprint, aber einer, der unablässig ist.
Nicht selten sieht sich ein CEO in der Anfangsphase kulturellen Hürden gegenüber – zum Beispiel, wenn man, wie in meinem Fall, als Unternehmensberater in ein sehr bodenständiges und familiär geführtes Unternehmen kommt. Hier gilt es, sich auf sein Gegenüber einzustellen und aktiv Fragen zu stellen.
Es liegt beim neuen CEO, sich in die Kultur der Firma zu integrieren, ohne sie komplett zu adaptieren. Dabei gibt es keine „dummen Fragen“. Dumm werden die Fragen erst, wenn man versäumt, die richtigen Fragen am Anfang zu stellen und dann nicht zuhört.
Faktor 4: Das Team
Kein CEO schafft den Turnaround allein, das geht nur im Team. Ein langfristig denkender Gesellschafterkreis und ein Management-Team, das sich vertraut und eng kommuniziert, mit klaren Zuständigkeiten und Strukturen sind zentrale Faktoren für unternehmerischen Erfolg. Menschen müssen zusammenpassen und miteinander etwas erreichen wollen.
Zu Beginn gilt es daher, die Leistungsträger zu identifizieren, die die Herzkammer des Unternehmens ausmachen. Dabei kommt es auf Menschenkenntnis an, aber auch auf eine Kommunikation, die Ergebnisse einfordert und Erfolge teilt.
Unangenehme Entscheidungen auf der Basis einer fundierten Diskussion im Führungsteam zu treffen, erfordert viel Führung und kostet deutlich mehr Zeit und Kraft als die Dinge einfach laufen zu lassen.
Wenn die Zahlen wieder stimmen und es der Firma besser geht – dann ist das nicht nur ein Verdienst des neuen CEO, sondern des gesamten Führungsteams und aller Mitarbeiter!
Dr. Philip Grothe kam 2014 als CEO zu alimex, einem Anbieter für hochpräzise Aluminiumlösungen. Das mittelständische Familienunternehmen mit Sitz in Willich bei Düsseldorf wurde 1970 gegründet und hat weltweit 190 Mitarbeiter. Davor war Dr. Grothe 14 Jahre als Berater tätig, davon fünf Jahre als Partner und Gesellschafter von Simon Kucher & Partners.